Fachkräftemangel: Was tun, wenn der Arbeitsmarkt leergefegt ist?
Akuter Fachkräftemangel bleibt ein Thema
Die Nachfrage am Arbeitsmarkt wächst. Zwischen neuen Herausforderungen und bestehenden Engpässen wird nun auch der Fachkräftemangel wieder mit Nachdruck zum akuten Problem. Diana Basso, Gründerin des Hamburger HR-Tech-StartUps TalentBait, hat für Recruiter:innen die passenden Tipps, um besser durch die Fachkräfte-Krise zu navigieren.
Wann spricht man von Fachkräftemangel?
Vor einigen Jahren wurde der Fachkräftemangel teilweise noch als Unsinn abgetan. Inzwischen ist es aber so, dass gut 90% der Unternehmen in Deutschland branchenübergreifend Probleme haben, ausreichend qualifizierte Mitarbeiter:innen zu finden und einzustellen. Betroffen sind davon in erster Linie die Bereiche:
- Pflege
- Handwerk
- Informationstechnologie
- Technische Berufe
An dieser Stelle ist auch die Rede von sogenannten »Engpassberufen«. Dabei handelt es sich – laut Bundesagentur für Arbeit – um Jobs, für die es viele Stellenangebote gibt, die Vakanzzeiten sehr lang sind und das Verhältnis zwischen Arbeitsuchenden und angebotenen Stellen mindestens 1 zu 2 beträgt. Mit anderen Worten: Auf zwei offene Stellen gibt es lediglich eine arbeitsuchende Person. Das Problem spiegelt sich also auf dem Arbeitsmarkt wider. Wenn es dort zu wenig oder sogar gar keine Bewerber:innen für zu viele offene Stellen gibt, kann man den Fachkräftemangel nicht wegdiskutieren – mit gravierenden Folgen für Unternehmen, Wirtschaft und Gesellschaft.
Welche Auswirkungen hat der Fachkräftemangel?
Durch das Fehlen der »Engpasstalente« haben viele Firmen mit hohen Umsatzeinbußen zu kämpfen. Auch die Qualität der angebotenen Dienstleistungen leidet. So können sich beispielsweise Pflegekräfte nur unter Zeitdruck um ihre Patienten kümmern oder Kunden müssen bei Aufträgen in Handwerk und Baugewerbe mit wochenlangen Wartezeiten rechnen. Außerdem steigt die Belastung der vorhandenen Belegschaft, weil ein zu großes Arbeitspensum auf zu wenige Mitarbeiter:innen aufgeteilt werden muss.
Viele dieser Engpass-Jobs zählen zu den systemrelevanten Berufen, die gerade während der Corona-Krise mehr gesucht sind denn je. Die Nachfrage ist hier stark gestiegen. Laut einer KOFA-Studie könnten während und nach der Pandemie-Zeit (im schlimmsten Fall) alleine in der Gesundheitsbranche mehr als 800.000 Fachkräfte fehlen.
Bildquelle: TalentBait
Was bedeutet der Fachkräftemangel für den Recruiting-Markt?
Bereits 2025 steht zu befürchten, dass über alle Branchen verteilt in Deutschland rund 2,9 Millionen Erwerbstätige auf dem Arbeitsmarkt fehlen – Tendenz steigend! Diese Zahl könnte durch die Auswirkungen der Corona-Krise sogar noch höher ausfallen. Ungewiss ist, wann beispielsweise ausländische Arbeitskräfte wieder ohne Weiteres einreisen und arbeiten dürfen. Doch gerade sie stellen in vielen Branchen einen erheblichen Teil der Mitarbeiter:innen. Darüber hinaus wird nach Pandemieende mit einem großen Wirtschaftsaufschwung und steigender Nachfrage gerechnet. Spätestens dann dürfte sich der Fachkräftemangel besonders schmerzhaft bemerkbar machen.
Im Vergleich zu vergangenen Tagen lässt sich ein Umbruch auf dem Recruiting-Markt beobachten. Statt zwischen vielen Bewerber:innen für eine Stelle auswählen zu können, müssen Unternehmen im »War for Talents« nunmehr mit ihren Konkurrenten um attraktive Kandidat:innen buhlen. Viele versuchen deswegen sogar, passende Fachkräfte woanders abzuwerben. Recruiter:innen sehen sich einem Bewerbermarkt gegenüber, auf dem sozusagen die Kandidat:innen die Bedingungen diktieren. Wer in Zeiten des Fachkräftemangels bestehen will, sollte sich deshalb einige Recruiting Tipps zu Herzen nehmen.
6 Recruiting-Tipps: So kann man dem Fachkräftemangel begegnen
① Der richtige Online-Auftritt für starkes Employer Branding
Die sozialen Medien sollten ein fester Kanal der Unternehmenskommunikation sein. So können Firmen sich gegenüber ihrer Konkurrenz abheben und zukünftigen Bewerber:innen schon im Gedächtnis bleiben, bevor diese überhaupt über eine Bewerbung nachdenken. Vor allem für Unternehmen aus Branchen mit starkem Fachkräftemangel, wie dem Gesundheitswesen, kann Employer Branding sehr wichtig werden.
Dabei sollten Unternehmen eine Multichannel-Strategie verfolgen und auf unterschiedlichen Kanälen, wie Facebook, Instagram und Twitter, vertreten sein und vielleicht auch Spotify oder einen eigenen Blog für sich nutzen. Vorher aber muss ein Plan für eine ganzheitliche Kommunikation und abgestimmte Inhalte entwickelt werden, um ein stimmiges Markenbild nach außen zu tragen.
② Den gesamten Bewerbermarkt in Betracht ziehen
Um Bewerber:innen für schwierig zu besetzende Stellen zu finden, sollten alle auf die Vakanz passenden Fachkräfte als potenzielle Kandidat:innen wahrgenommen werden. Neben aktiv Arbeitsuchenden, müssen auch latent suchende und wechselwillige Kandidat:innen von der Stellenausschreibung erfahren. Diese erreicht man am besten über Social Media.
Beim Social Media Recruiting werden Vakanzen als Werbeanzeigen direkt in den Facebook-, Instagram, Twitter- oder Xing-Feed potenzieller Kandidat:innen ausgespielt – also dort, wo sie sowieso unterwegs sind. Aktuell sogar mehr als je zuvor: Die meisten Menschen verbringen aktuell sehr viel Zeit zu Hause und nutzen dort ihr Smartphone.
Gerade in Pandemie-Zeiten bietet es sich an, auf digitale Recruiting-Lösungen zu setzen. Ein weiterer Vorteil: Viele Unternehmen haben ihre Personalsuche auf ein Minimum runtergeschraubt. Kandidat:innen werden also von deutlich weniger Firmen kontaktiert.
③ Bewerbungsprozesse so unkompliziert wie möglich gestalten
Klassische Bewerbungsprozesse sind sehr aufwendig, kompliziert und zeitintensiv. Daher sollten die einzelnen Phasen, die Bewerber:innen durchlaufen möglichst unkompliziert gestaltet werden. Die Candidate Journey lässt sich durch den Verzicht auf ein Anschreiben, das Zulassen von XING- oder LinkedIn-Lebensläufen oder den Einsatz von Chatbots für sofortige Rückmeldungen optimieren. Vor allem der Erstkontakt muss einfach und schnell passieren.
Außerdem punkten Unternehmen mit transparenten Karriereseiten, auf denen zum Beispiel offen über das Gehalt gesprochen wird. Eine Karriereseite sollte in einem modernen Design gestaltet, leicht zu navigieren und für die Nutzung auf mobilen Geräten optimiert sein. Denn viele Bewerber:innen sind explizit mit dem Smartphone auf Jobsuche.
④ Programme für die Fachkräfte von morgen
In Branchen, die besonders vom Fachkräftemangel betroffen sind, ist es sinnvoll, bereits Schüler:innen oder Studierende anzusprechen. Unternehmen können mit Schulen und Universitäten zusammenarbeiten. Sie können dort ihre Branche vorstellen, den Nachwuchs direkt kontaktieren und Interesse für bestimmte Berufsprofile wecken.
Auch während Corona sollten Firmen den Nachwuchs nicht vergessen! Spätestens nach der Krise werden »die Fachkräfte von morgen« enorm wichtig. Eine Möglichkeit bieten beispielsweise attraktive Ausbildungsprogramme. Auszubildende erlangen so schon in der Lehre Fähigkeiten und Wissen, das für ihre späteren Aufgaben relevant ist. Gleichzeitig lernen die Nachwuchskräfte das eigene Unternehmen von Grund auf kennen.
Interessante Modelle gibt es zum Beispiel bei Beiersdorf. Dort sind dual Studierende in einem Wechselsystem in verschiedenen Abteilungen tätig. Oder bei der Sparkasse, wo Auszubildende die Möglichkeit haben, eigene Projekte – wie eine Azubi-Filiale – zu übernehmen. Bei der Deutschen Bahn winken zudem attraktive Benefits: kostenfreie Bahnfahrt, Mietzuschüsse, feste Ansprechpartner:innen und garantierte Übernahme.
⑤ Quereinsteigern eine Chance geben
Personaler:innen sollten auch über den Tellerrand schauen: Alternativ könnten motivierte Quereinsteiger oder Kräfte aus ähnlichen Berufen für Vakanzen in Frage kommen. Gerade jetzt, da viele Unternehmen wegen Corona ihr Recruiting einstellen, Kurzarbeit anordnen oder sogar Entlassungen vornehmen, bieten sich gute Chancen, Mitarbeiter:innen zu finden, die vorher noch nicht auf dem Radar waren.
Wer als Quereinsteiger in der IT-Branche durchstarten möchte, hat zum Beispiel die Möglichkeit, sich bei neue fische in einem dreimonatigen »Entwickler-Bootcamp« zum Web Developer oder Data Scientist ausbilden zu lassen.
⑥ Ausländische Fachkräfte rekrutieren
Aufgrund des am 1. März 2020 in Kraft getretenen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes dürfen auch ausländische Arbeitskräfte für Jobs nach Deutschland kommen, die nicht als Mangelberufe gelten. Dadurch soll der deutsche Bewerbermarkt gefüllt werden und Arbeitskräfte in Berufen arbeiten können, in denen sie eine abgeschlossene Berufsausbildung haben.
Außerdem wurde das Visumverfahren für Fachkräfte aus dem Ausland erleichtert und für alle ausländischen Jobsuchenden die Möglichkeit geschaffen, ohne einen festen Arbeitsplatz nach Deutschland zu kommen. Damit wird die Jobsuche vor Ort gefördert.
Hilfe bei der Anstellung ausländischer Fachkräfte bietet zum Beispiel die Localyze-App. Sie vereinfacht die Visaprozesse und unterstützt bei der Wohnungssuche. Trotz des durch die Corona-Krise bedingten Einreise-Verbots können Anträge schon jetzt vorbereitet werden. Dadurch reduziert sich die Zeit bis zur Einstellung, sobald die Einreise nach Deutschland wieder möglich ist.
Über unsere Gastautorin
Diana Basso | Gründerin von TalentBait
Diana Basso ist Gründerin des Hamburger HR-Tech-StartUps TalentBait. Mit TalentBait können Unternehmen ihre Stellenanzeigen auf Social Media Kanälen bewerben und durch Performance Marketing effektiv den gesamten Bewerbermarkt erreichen.
Beitragsbilder: unsplash.com | Katie Moum // Element5 Digital // ConvertKit