Das generische Femininum – Ein Recht auf weibliche Ansprache?

Weibliche Ansprache: die Rechtslage, wo stehen wir und wie kann die Zukunft aussehen?​

Egal ob beim Active Sourcing, bei der Bewerberkommunikation oder in alltäglichen Situationen – haben Frauen ein Recht auf eine weibliche Ansprache und das generische Femininum? Dipl.-Verwaltungswirtin Aline Funk beschäftigt sich mit Führungs- & Geschlechterforschung und möchte in diesem Beitrag näher auf dieses Thema eingehen.

Haben Bewerberinnen und Mitarbeiterinnen das Recht auf weibliche Ansprache?​

Eine Kundin wollte ihre Bank verpflichten, in Formularen auch die weibliche Ansprache zu nutzen und klagte dafür in mehreren Instanzen. 2018 entschied der Bundesgerichtshof, dass in Vordrucken und Formularen kein gesetzliches Recht darauf besteht, mit Personenbezeichnungen angesprochen zu werden, die dem eigenen natürlichen Geschlecht entsprechen (Urteil VI ZR 143/17). Weiter lautet der Urteilstext:

„Nach dem allgemein üblichen Sprachgebrauch und Sprachverständnis kann der Bedeutungsgehalt einer grammatisch männlichen Personenbezeichnung jedes natürliche Geschlecht umfassen (‘generisches Maskulinum‘).“

Somit findet für alle Geschlechter – außer für das männliche – eine Entkopplung des grammatikalischen Geschlechts von dem natürlichen Geschlecht statt.

Und wie sieht es mit dem generischen Femininum aus?

Wenn eine Entkopplung des grammatikalischen Geschlechts von dem natürlichen Geschlecht legitim ist, kann das für einen besseren Lesefluss doch auch durch das generische Femininum bezweckt werden, oder? Hierzu gibt es zwar keine aktuelle Rechtsprechung, aber einen rechtsbezogenen Vorfall: Ein Gesetzesentwurf für ein neues Insolvenzrecht wurde im generischen Femininum verfasst und eingereicht. Die Begründung dafür lautete, dass es in dem Gesetz meist um Gesellschaften ginge, deren grammatikalisches Geschlecht weiblich ist. Damit sollte – so wie auch oft für das generische Maskulinum argumentiert wird – die Komplexität des Textes verringert werden.

Der im generischen Femininum verfasste Gesetzesentwurf wurde jedoch abgelehnt mit der Begründung, dass das generische Femininum „zur Verwendung für weibliche und männliche Personen bislang sprachwissenschaftlich nicht anerkannt“ sei und somit die Gefahr bestünde, das Gesetz gelte nur für Frauen. Diese Argumentation wird in zwei Punkten kritisiert:

  1. „Herkömmlich wird die grammatisch maskuline Form verallgemeinernd verwendet (generisches Maskulinum)“, heißt es in einem Leitfaden für die Formulierung von Rechtsvorschriften. Das Wort „herkömmlich“ suggeriert zwar, dass dies der Normalfall sei, schließt aber auch keine andere verallgemeinernde Form aus.
  2. Laut dem Bundesjustizministerium sei in dem Entwurf definiert worden, dass „beispielsweise mit ‚Insolvenzgläubigern‘ Personen beiden Geschlechts gemeint sind.“2 Insofern ist fraglich, warum die Gefahr bestehen soll, dass das Gesetz nur für Frauen gelten könnte.

Was sagt es über unsere Gesellschaft aus, dass das generische Femininum nicht anerkannt wird?​

Das Gender Pay Gap, die gläserne Decke und das Gender Care Gap: Das sind nur einige Beispiele dafür, dass die Gleichberechtigung von Männern und Frauen 71 Jahren nach der Aufnahme in das Grundgesetz (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz) immer noch nicht in der Gesellschaft angekommen ist. Auch nicht zu vergessen ist dabei, dass sexuelle Gewalt – der überwiegend Frauen zum Opfer fallen – nicht durch eine Kumulation von Einzeltätern und Einzeltäterinnen verübt werden, sondern von gesellschaftlichen Strukturen unterstützt werden.

Hätten denn nun eine andere Entscheidung des BGH oder die Akzeptanz eines Gesetzes, das im generischen Femininum verfasst ist, unser Gleichberechtigungsproblem sofort gelöst? Oder würde ein flächendeckendes, konsequentes Gendern in der Sprache die Probleme auf der Stelle lösen? Vermutlich nicht.

Dennoch ist unsere Sprache ein aktives Mittel, um Veränderungen in der Gesellschaft sowie in der sozialen Umgebung zu bewirken und sie zeigt auch, wo wir in unserer Gesellschaft stehen. In der deutschen Alltagssprache gelten Synonyme für Prostituierte als Beleidigung, obwohl es sich lediglich um eine Berufsbezeichnung handelt und diverse Bezeichnungen des weiblichen Fortpflanzungsorgans werden zu Beleidigungen entfremdet, um jemandem negative Eigenschaften zuzuschreiben. Diese Beispiele zeigen, wie leicht einem sachlichen Begriff ein anderer, wertender Bedeutungsgehalt gegeben werden kann und wie dadurch unsere Wahrnehmung von etwas scheinbar Alltäglichem grundlegend verändert werden kann.

Genauso funktioniert es mit dem generischen Maskulinum, das grammatikalisch andere Geschlechter miteinschließt, der Bedeutungsgehalt kann sich in der Wahrnehmung aber verändern. Dass das generische Femininum nicht im allgemeinen Sprachgebrauch anerkannt wird, sagt also etwas über unsere Wahrnehmung des weiblichen Geschlechts aus. Jetzt können wir uns entweder der Sprache anpassen, die uns umgibt, oder wir können die Sprache und die Bedeutung unserer Sprache aktiv mitgestalten und damit den Bedeutungsgehalt unserer Sprache verändern.

Wenn wir unsere Sprache ändern, können wir nicht erwarten, dass wir sofort eine Gleichberechtigung aller Geschlechter erreichen. Aber jede:r Einzelne setzt dadurch ein Zeichen für die Gleichberechtigung und kann auf einfachstem Wege eine große Menge an Menschen erreichen, nämlich alle, mit denen wir über den Tag verteilt auf jegliche Art und Weise kommunizieren. Indem wir unsere eigene Sprache verändern, schaffen wir ein Bewusstsein dafür, dass es immer noch keine Gleichberechtigung gibt, diese aber erstrebenswert ist. Das ist einer von vielen Wegen, um Veränderungen in der Gesellschaft zu erwirken; und für den:die Einzelne:n im Alltag der offensichtlich einfachste.

Wie kann dabei der Lesefluss gewährleistet werden?​

Mittlerweile gibt es diverse Möglichkeiten, die Sprache gendergerecht zu gestalten: den Schrägstrich, das Sternchen, den Doppelpunkt und noch diverse weitere, die alle einen anderen Fokus setzen und unter denen man auch leicht den Überblick verlieren kann, wenn man sich nicht näher damit befasst hat. Wie kann man dabei die Lesefreundlichkeit genderkonform beibehalten?

Der Beantwortung dieser Frage sei eine Annahme vorausgestellt: Wenn es eine echte Gleichberechtigung gäbe, wäre eine Auseinandersetzung mit der Sprache gar nicht notwendig, weil die Wahrnehmung der Sprache eine Gleichberechtigung miteinschließen würde.

Um den Lesefluss zu vereinfachen kann ja nicht nur das generische Maskulinum genutzt werden, sondern auch das generische Femininum. Ziel sollte es dabei nicht sein, dass das generische Femininum das generische Maskulinum ablöst, sondern vielmehr, dass jede:r für den eigenen Text frei wählen kann, welche Form genutzt wird und dass die Nutzung des generischen Femininums keinen gesellschaftlichen Aufschrei mehr bewirken muss, sondern unsere Normalität ist. Wäre es nicht praktisch, wenn sowohl das generische Maskulinum als auch das generische Femininum beide Geschlechter repräsentieren können und das nicht nur grammatikalisch, sondern auch in der Wahrnehmung?

Bis dieser Zustand erreicht ist, wird es wohl noch dauern. Mein Vorschlag: Benutzen wir doch einfach mal alle konsequent das generische Femininum und schauen, was in der Gesellschaft passiert.

Über unsere Gastautorin​

Alina Funk

Aline Funk |Dipl.-Verwaltungswirtin im öffentlichen Dienst 

Aline Funk ist Dipl.-Verwaltungswirtin, seit sieben Jahren im öffentlichen Dienst beschäftigt und Mutter einer Tochter. In einem berufsbegleitenden Masterstudium forscht sie derzeit im Rahmen ihrer Masterarbeit auf den Gebieten der Führungsforschung und Geschlechterforschung.